DIE BEDEUTUNG DES « BON ESPRIT » IN DER AUSBILDUNG

Dieses Konzept des « bon esprit » (guter Geist), das wir im Folgenden beschreiben wollen, ist ein wesentlicher Baustein für Alle, die eine Gemeinschaft ausbilden, wachsen lassen und entwickeln wollen.


Für unseren Gründer, l’abbé Guérin, war die Unterscheidung zwischen « bon » und « mauvais esprit » (zwischen gutem und schlechtem Geist) fundamental. Tatsächlich kann man nicht leugnen, dass es heute in vielen Institutionen, Schulen oder Unternehmen zum guten Ton gehört, die anderen Personen und deren Entscheidungen zu kritisieren, immer zuerst auf das Negative zu schauen… was man auf französisch « mauvais esprit » nennt. Letztlich besteht er in der Haltung, sein persönliches « Ich » über das Gemeinwohl zu stellen. Er ist die Frucht der Ausbreitung eines Individualismus in der Gesellschaft und eines allgemeinen Unmutes; auch die Autorität, Garant des Gemeinwohls, ist suspekt! Die « Meister » haben Schwierigkeiten, sich Gehör und Respekt zu verschaffen. Schüler sein ist nicht mehr ein Zeichen von Intelligenz.

Diese Skizze ist sicher etwas übertrieben… aber sie ist auch nicht so weit von der Realität entfernt. Es reicht, den Platz zu beobachten, den die Kritik gegenüber jeder Form von Autorität einnimmt. Dazu kommt, dass Viele im einer eher angsteinflößenden Welt Sicherheiten suchen, die sie nicht finden. Daher so viele Enttäuschungen; und die Enttäuschung ist, mit der Angst, der Ursprung des allgemeinen « mauvais esprit ». Nichts Neues. Hat nicht schon Jesus selbst seine Jünger eingeladen, ihre Ängste zu überwinden? Eine starke Einladung : vertrauen !

Der „bon esprit“ ist grundlegend für jedes Gemeinschaftsleben.

Dank der Meister in der Freiheit wachsen.

Der « bon esprit » hat einen Preis: Vertrauen

Das ist das große Geheimnis von jeder Art funktionierenden Gemeinschaftslebens. Die « Meister » müssen akzeptieren, Autorität auszuüben; die « Schüler » oder « Jünger » müssen akzeptieren, zu gehorchen, ohne sich zu verstellen. Nur so können die « Jünger » in Freiheit und Gelassenheit wachsen. Sie können von der Erfahrung der Älteren profitieren und ihren eigenen Platz zur besseren Entwicklung des Gemeinwohles einnehmen. Der Ausgangspunkt ist einfach: die Gemeinschaft ist nicht vollkommen; die Oberen auch nicht, die Ausbildung auch nicht. Und doch ist die Ausbildung kohärent, die Älteren wirken glücklich, die Oberen machen einen kohärenten Eindruck. So sind alle Bedingungen vorhanden, um den « bon esprit », das heißt die Freude, die aus dem Geist der Freude und der Freiheit kommt, zu bewahren und zu entwickeln.

Diesen « bon esprit » muss man freiwillig empfangen und man bewahrt ihn, wenn man sich für den Frieden und das Vertrauen entscheidet, auch wenn man manches nicht versteht. Das hat tatsächlich seinen Preis: auf ein eigenes Gut um des Gemeinwohles willen verzichten, indem man sich entscheidet, der für das Gemeinwohl verantwortlichen Autorität zu vertrauen. Wenn man die Rolle der Autorität in der Entfaltung des « bon esprit » in einer Gemeinschaft betrachtet, ist es wichtig, dass jene, die die Autorität innehaben, sich in Frage zu stellen wissen und fähig sind, wirklich allen Mitgliedern der Gemeinschaft zuzuhören. Das ist eine fundamentale Voraussetzung dafür, dass Alle sich gegenseitig vertrauen können.

Seinen Platz annehmen, vertrauen, an das Gemeinwohl glauben, ein Sinn des Verzichts, des Wohlwollens – das sind die Elemente mit denen man in einer Gemeinschaft den « bon esprit » pflegen muss.

Über den « bon esprit » in der Ausbildung zu sprechen, bedeutet für mich, über Demut und Vertrauen zu sprechen. Wenn es etwas gibt, das ich in meinen Jahren in Candé [ehemaliger Ort des Seminars der Gemeinschaft Sankt Martin] erfahren konnte, dann ist es, dass wir Zwerge sind, die auf den Schultern von Riesen stehen: der « bon esprit » im Seminar erfordert die Demut der Jugend vor der Erfahrung der Älteren. Akzeptieren, sich ausbilden zu lassen, ist akzeptieren, sich ohne kritische Vorurteile belehren zu lassen. Das ist nicht immer einfach: Schnell hat man ein unreifes Urteil über diese oder jene Anordnung gefällt, über diesen oder jenen Rat eines Oberen oder Mitbruders, über diese oder jene pastorale Entscheidung der Priester… Mit der Haltung „ich weiß nicht“ anzufangen, ist also eine Demutsübung, die den « bon esprit » und das gute Zusammenleben in einer Gemeinschaft ermöglicht. Muss man deswegen vollständig auf sein Urteilsvermögen verzichten, um den « bon esprit » zu wahren? Ist kritische Urteilsfähigkeit immer synonym mit « mauvais esprit »? Natürlich nicht – und genau da kommt das Vertrauen ins Spiel: In aller Freiheit meine Meinung zum Ausdruck bringen und anschließend gehorchen und in die Entscheidung meiner Oberen einwilligen (auch wenn sie meiner Meinung widerspricht!) – das war für mich eine wahre Schule der Freiheit. Das war nur dank eines tiefen Vertrauensverhältnisses mit meinen Oberen möglich – sicher eines der schönsten Dinge in meiner Ausbildung!

Ein Seminarist im 6. Jahr