Priester und die Armut: Eintauchen in das Leben Kubas

Sonntag, 13. November 2022

Das sechste Mal fand am 13. November der von Papst Franziskus eingeführte Tag der Armen statt. Aber wie spricht man von der Armut? Kann man sich, hinter einem Bildschirm versteckt, wirklich für die Armut interessieren? Ist es keine Heuchelei bequem von der Couch aus über die Armut zu schreiben und zu fordern, dass man doch aus seiner Komfortzone ausbrechen sollte? Eine typische Frage, in der der Ärger über die Oberflächlichkeit unseres Nachdenkens über die Armut auf Ohnmacht gegenüber der Realität treffen. Auch Jesus scheint gegenüber diesem Zweigespann zu resignieren: “Die Armen habt ihr immer mit euch.” (Mk 14,7).

Und es ist doch gerade in der Armut, in der Christus uns begegnet. “Jesus Christus … hat sich arm gemacht für euch.” (2 Kor. 8,9), so Papst Franziskus. Aber bevor man Gefahr läuft sich weiter hochtrabende Gedanken dazu zu machen, schauen wir uns lieber in die Mission unserer Priester in der Missionspfarrei von Placetas in Kuba an. Wir begleiten Abbé Louis de Berny, der seit zwei Jahren Priester ist und auf dieser karibischen Insel wirkt.

Der erste Punkt, dem man als Priester hier begegnet, ist die Fürsorge für die Armen und dies in allen Bereichen des Lebens.  Auf Kuba ist die Armut Teil des täglichen Lebens. Ein Zeugnis :

“ Vor einem Monat, nach dem Zyklon, der den Westen des Landes verwüstet hat, hatten wir für 3 Tage im ganzen Land keinen Strom mehr.”

Wie sieht es da bei uns aus? Der Krieg in der Ukraine und die Pandemie haben vieles aufgedeckt, was vorher verhüllt war. Die Frage der Armut ist auch bei uns viel offensichtlicher geworden. Auch wenn es viele gute Inititativen und Werke gegenüber den Flüchtlingen gab, wurde zugleich die Frage nach der inneren Sicherheit neu behandelt, das wiederum seine guten und seine schlechten Seiten mit sich brachte. Denn gegen wen und gegen was gilt es sich zu verteidigen? Und zu welchem Preis ? Gibt es nicht die « Armen von nebenan », um es mit Papst Franziskus zu sagen, welche in dieser Frage der Sicherheit vergessen. werden? Diese Frage bleibt natürlich wichtig, aber es braucht ein wirkliche Unterscheidung um die christliche Nächstenliebe für die Armen nicht auf den zweiten Platz zu stellen. Sie ist keine Gedankenspielerei.

Auch hier kann Kuba vielleicht ein Beispiel geben, so schreibt don Louis am Tag nach dem  Hurrikan:

“Besonders beeindruckt hat mich zu sehen, dass als die Zeit wie still stand das soziale Leben viel stärker in den Vordergrund trat. Diejenigen, die kein Wasser mehr hatten, konnten die Brunnen der Nachbarn mitbenutzen. Auch die älteren Personen und die Kranken wurden viel mehr besucht… Es war, als würde sich das ganze Volk großzügig in den Dienst des Nächsten stellen: die Krisen enthüllen die Reichtümer einer Gesellschaft und die Echtheit des Glaubens.”

Es kristallisiert sich ein zweiter Punkt heraus: Um von der Armut zu sprechen, sollte man sie bereits kennen. Dies beschränkt sich nicht nur auf dasjenige, das die Medien über die Armut berichten. Armut bedeutet Kleinheit; Armut bedeutet versteckt sein. Auch hier ist Kuba ein eklatantes Beispiel. Wer sorgt sich den heute schon über diese kleine karibische Insel, auf der seit gut 60 Jahren das Volk an einem zynischen und destruktiven System leidet, welches längst außer Atem ist?

Ein sprechendes Beispiel unter vielen: “Wir haben keinen Brennstoff und kein Benzin mehr. Die Strom fällt zischen 6 und 12 Stunden pro Tag aus. Jeden Tag gibt es weniger Nahrungsmittel, ein Ei zu essen ist heute ein echter Luxus. Die Rationierung betrifft sogar die essentiellen Produkte. Seit dem 1. November dieses Jahres müssen wir alle kleinen Hostien teilen, da wir laut der Bischofskonferenz aufgrund des Fehlens von Mehl sonst an Weihnachten keine Hostien mehr haben werden, wenn uns nicht das Ausland zur Hilfe kommt… Wen kümmerts?“

“Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher!” Der wirkliche Reichtum ist Jesus Christus, der sich für uns arm gemacht hat.

Ein dritter Punkt in der Konfrontation mit der Armut besteht in der Aktion. Gegenüber der Armut genügen keine schönen Worte, wenn sie nicht zu einer konkreten Entscheidung führen. Was kann man denn heute tun um die Not zu mildern?

  • Zuallererst: Beten. “Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher!”(Apg 3,6) Der wirkliche Reichtum ist Jesus Christus, der sich für uns arm gemacht hat.
  • Danach: Zuzuhören. Der Arme sieht sich nicht selbst. Und doch gibt es viele Facetten. Die Armen sind stets um uns, wir begegnen ihnen tagtäglich: als Mensch, auf der Straße; als Angesteller, mit einem komplizierten Kollegen; als Elternteil, konfrontiert mit den Krisen des Kindes, das sich verschließt; als Sohn mit dem Älterwerden der Eltern; als Priester, in der Eucharistie. Die Armut begrenzt sich eben nicht auf die Länder der dritten Welt. « Beim Nachdenken über die verschieden Skandale in den Altersheimen Frankreichs hab ich mir gesagt, dass Kuba wirklich eine große materielle Armut erleidet, aber dass wir uns hier in Kuba nicht vor dem Fehlen menschlichem Reichtums schämen brauchen. Es ist gut das im Blick zu behalten, in einer Zeit, in der wir in Frankreich über das Ende des menschlichen Lebens und aktive Sterbehilfe diskutieren. »
  • Letzter Punkt: Geben. Der Papst erinnert uns, dass die Solidarität darin besteht zuerst das Wenige, das wir haben, denen zu geben, die nichts haben. Es geht hier nicht darum nur von unserem Überfluss zu geben, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Nein, man soll sich engagieren um den Armen näher zu kommen und so in den Armen das Antlitz Christi zu suchen. Zwei Beispiele zeigen das auf: Zuerst sind hier die frühchristlichen Gemeinschaften zu nennen, in denen es eine echte gegenseitige finanzielle Unterstützung gab. Diese Solidarität war einer der Faktoren, der die Einheit der Kirche in einem Kontext der Verfolgung stärkte. Der Leib Christi wurde unter anderem durch eben diese materielle Großzügigkeit verkündet. Ein anderes Beispiel findet sich im Leben des heiligen Martins, der in der Nacht, nachdem er dem Armen seinen Anteil am Uniformmantel gegeben hatte, eine Vision Christi hatte, der eben diesen Teil des Mantels trug. Der Arme, das ist Christus.

Don Louis erinnert uns daran, dass dieser Tag der Armen dafür da ist um uns in diesem Geheimnis zu vertiefen: « Bei solchen Tagen bleibt immer das Risiko mal schnell etwas Gutes zu tun und es dann wieder dabei zu belassen, so wie das der Fall ist mit Neujahrsvorsätzen, mit der Diät zum Schlankwerden, unendlich vielen Konferenzen zum Klimawandel oder auch bei einmaligen starken Glaubenserfahrungen auf Wallfahrten. All das hat nur Sinn, wenn sich diese Dinge auf Dauer bewähren und in einem authentischen Lebensstil ihren Ausdruck finden. Die Fürsorge für die Armen – die Solidarität – ist eine Tugend. Ihr sind per se alles Oberflächliche und Vergängliche fremd. Die Tugend besteht in einer beständigen Haltung, die mit der Zeit immer natürlicher und freudenreicher wird. Sie gestaltet uns dem Evangelium gleich. Ein Tag , der in dieser Dynamik der Solidarität mit den Armen und Schwachen gelebt wird, kann unsere Starrheit ans Licht bringen und unser Herz neu orientieren, indem wir unser Gewissen im Hinblick auf unser Mitgefühl mit den Ärmsten unserer Mitmenschen erforschen (Mt 25,40). »