Die Stunde der Wahl

Gibt es ein ideales Alter, um ins Seminar einzutreten?

Die Frage nach dem Alter beim Seminareintritt verweist auf die Frage der menschlichen Reife des Kandidaten. Welche Kriterien ermöglichen, sie zu bewerten?

Das 2. Vatikanische Konzil nennt einige Kriterien: emotionale Stabilität, ausgewogenes Urteil, Mut, Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung/Mäßigung, Loyalität, Liebenswürdigkeit. Die Schwierigkeit dieser Kriterien besteht darin, dass die vollständige Reife erst spät erreicht wird. Wie soll man mit zwanzig Jahren eine Selbstbeherrschung erreichen, die gleichzeitig ängstliche Steife und schwere moralische Rückfälle vermeidet? Wie soll man ohne ausreichend lange und persönliche Lebenserfahrung ein ausgewogenes Urteil haben? Die „Weisheit“ wurde immer als eine Frucht der späten Reife betrachtet. Sind einige Jugendliche, die reif erscheinen, nicht manchmal einfach erstickte Persönlichkeiten, angepasst, gut „dressiert“, ohne andere Meinung als die, die sie von der Tradition und ihren Meistern gelernt haben? Wenn dann später eine Persönlichkeitskrise kommt, die dieses konformistische Verständnis des Lebens infrage stellt, sackt das Gebäude in sich zusammen. Man gewinnt nichts, wenn man zu brave Jugendliche machen willen. In diesem Bewusstsein hat man nicht wenige Kandidaten ermutigt, ihre Studien in der Welt vor dem Eintritt ins Seminar fortzuführen.

Die Berufung im Gebet prüfen.

In seinem apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis insistiert Johannes Paul II. mit Nachdruck auf dem Kriterium der affektiven Reife. Darauf hörend und im Bewusstsein dessen, was auf dem Spiel steht, hat man es oft als unklug beurteilt, die Türen des Seminars für Jugendliche zu öffnen, die diese menschliche Reife noch nicht erreicht haben. In Wirklichkeit zeigen die Tatsachen aber, dass manche jung (auch sehr jung) eingetretene Jugendliche einen Weg zu einer soliden Reife gehen, während manche Männer mit einer echten Lebenserfahrung in der Welt diese affektive Reife nicht erreichen. Das Alter und selbst die Lebenserfahrung scheinen also nicht entscheidend, um die Reife eines Kandidaten zu bewerten.

Dennoch gibt es für jede Person eine „Stunde der Wahl“, die es zu erkennen gilt. Ohne hier das Problem lösen zu wollen, wagen wir einige Kriterien, um das ungefähre Alter und den „Moment“ zu erkennen, in dem die Natur selbst und die Reife der Persönlichkeit die Jugendlichen einladen, eine Wahl zu treffen, die sie für das Leben bindet, sei es auf Berufs- oder Beziehungsebene. Wenn man das Bedürfnis verspürt, sich zu entscheiden und sich definitiv in der Ehe oder im Zölibat zu binden, sowie in einem Beruf, der unsere Wünsche und affektiven Bedürfnisse befriedigt; wenn man sich im Frieden und selbstsicher genug fühlt, um ein präzises und konkretes Lebensprojekt zu realisieren, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die „Stunde der Wahl“ gekommen ist. Zu viel Unentschlossenheit ist ein wahrscheinliches Zeichen für irgendeine unbewusste psychische Unruhe. Die Psychologen haben einen „Reifepunkt“ präzisiert, an dem ein Individuum von seiner biologischen und psychologischen Entwicklung dazu gedrängt wird, den Wunsch verspürt, sich ein langfristiges und dauerhaftes Ziel für seine Existenz in der Gesellschaft zu setzen: man selbst sein, nicht nur das werden, was man ist, sondern, was man zu sein fähig ist. Zwei Merkmale dieser Stunde der Wahl: seine eigene Identität gefunden haben und ein Bedürfnis nach ehelicher Intimität verspüren, die auf die Zeugung von Kindern hinstrebt. Selbstverständlich sind die Etappen dieser Reifung anders, wenn es um den geweihten Zölibat geht. In der Ehe behauptet sich die eigene Identität, indem sie eine andere Person integriert; aber die Freuden und Prüfungen der Beziehung zu Christus können eine ähnliche Rolle spielen.

„Ich bin nicht mehr der, der ich zu meiner Zeit im Seminar war“, sagen manche jungen Priester. Dieser Eindruck ist vielleicht manchmal dem großen Unterschied geschuldet, der zwischen dem zurückgezogenen Leben des Seminars und dem priesterlichen Dienst besteht; er ist aber in jedem Fall natürlich: verheiratete Leute sind auch nach zehn oder zwanzig Jahren Ehe verändert. Niemand ist von der Bemühung befreit, die die Treue zu jeder Zeit erfordert, und man bereitet sich darauf vor, indem man die Schwierigkeiten der vorhergehenden Zeiten überwindet. Andererseits ist derjenige, der den Ruf Christi zum priesterlichen Leben gehört zu haben glaubt, auch dazu berufen, das in seinem Verhalten gegenüber jungen Mädchen zu berücksichtigen. Welche Folgen haben da die Erfahrung, sich zu verlieben, zu flirten und das Austauschen von Zärtlichkeiten? Viele führen an, das sei eine unabdingbare Etappe, um sich später im Zölibat binden zu können. Das ist oft wahr, aber andererseits können die Erinnerungen des Verliebtseins eine Anfälligkeit hinterlassen… Selbstverständlich wäre es sehr schädlich für die Persönlichkeit eines zukünftigen Priesters und Apostels, ihn von der Außenwelt abgeschottet großziehen zu wollen, ihn zu einer rein negativen Keuschheit zu erziehen, ihn daran zu gewöhnen, den normalen Kontakt mit Frauen zu meiden. Ein gewisser Umgang zwischen Jugendlichen beider Geschlechter ist gesund, vorausgesetzt, dass er sich nicht zu früh in Partnerschaften erotischer Natur und außerhalb jeglicher Kontrolle verformen.

Darum empfiehlt das kirchliche Lehramt eine angepasste Sexualerziehung, d.h. eine Erziehung zu einer keuschen Liebe der Personen, und nicht eine besessene Sündenvermeidung. Die Seminaristen müssen sich an das menschliche Umfeld ihres zukünftigen Dienstes anpassen lernen. Darum gilt es, sie Stück für Stück in Apostolaten heranzuführen an die Erfahrung ehrlicher, menschlicher, brüderlicher, persönlicher und nach dem Vorbild Christi geopferter Liebe, speziell für die Armen und Leidenden. Solche reinen Freuden sind auch für Jugendliche von 20 Jahren zugänglich. Wir glauben, solche „Experimente“ armen Lebens, keuscher Liebe, und Selbstverzichts sind, wenn sie mit Liebe und Herz angegangen werden, auch fähiger, die Persönlichkeit reifen zu lassen, als Experimente in Partnerschaften. Sie können den zukünftigen Priestern den wahren Sinn ihrer apostolischen und priesterlichen Identität eröffnen. Diese vollkommene Keuschheit mit ihrer intimen und reinen Freude ist nicht Allen gegeben und noch nicht einmal von Allen verstanden. Sehen wir uns vor, den Keim bei denen nicht zu ersticken, die glauben, den Ruf zu dieser Keuschheit empfangen zu haben. Vielleicht sind sie zahlreicher, als man glaubt.